10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 3 – So erstellen und steuern Sie ein agiles Marketingbudget


von Fred Geiger

Wie man Marketingbudgets flexibel, pragmatisch und „Data driven“ erstellt und mit geringem oder zumindest überschaubarem Erstellungs- und Controllingaufwand durch die wilden, immer wieder überraschenden und vermeintlich auch unplanbaren Untiefen des Marktes steuert.

Als ich im Frühjahr 2020 meine Auftragslage einschätzte und einen Blick auf die nächsten Monate warf, war ich optimistisch und erwartete im zehnten Jahr hintereinander ein signifikantes Wachstum. Vier Monate später habe ich dann das erste mal in meinem Leben als Selbständiger eine monatliche Mehrwertsteuerrückerstattung erhalten (sprich: meine Ausgaben haben meine Einnahmen übertroffen) und ich habe, wie viele Selbständige, Künstler, Gastronomen und kleine/mittelständische Unternehmer in den sofortigen Krisenmodus geschaltet und zum Beispiel ausgerechnet, wie lange meine Reserven wohl reichen würden. Jetzt am Ende dieses ereignisreichen Jahres blicke ich wiederum auf ein absolutes Rekordjahr zurück, was meine Einnahmen anbelangt. Ins neue Jahr starte ich deshalb mit viel Dankbarkeit darüber, wie viel Glück ich hatte und mit einem guten Vorsatz, nämlich dem, dass ich keine Prognosen mehr wagen werde. Verbunden allerdings auch mit der Hoffnung, das meine Themen für Seminare und Beratungsaufträge grundsätzlich die richtigen sind und vom Markt weiterhin nachgefragt werden. Außerdem in der Überzeugung, dass meine Strategien und Methoden hierfür auch in einer mittleren und fernen Zukunft tragfähig sind und bleiben werden.

Sie meinen jetzt vielleicht – „Corona, das war nicht abzusehen“. Dabei kann, wie der große Karl Popper es einmal ausdrückte immer „ein schwarzer Schwan auftauchen“, sprich ein völlig außergewöhnliches Ereignis, dass alles Wissen, viele Werte und zahlreiche und solide Erfahrungen in Zweifel zieht oder gar ad absurdum führt. Auch die jüngere Geschichte ist voll von solchen Ereignissen.

Sie sind vielleicht der Überzeugung – „Corona hat kerngesunde Unternehmen mit langfristig guten Zukunftsprognosen ruiniert“. Ich halte dem entgegen, dass im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die vierte industrielle digitale Revolution uns immer mehr zwingt „auf Sicht zu fahren“, weil wir nicht wissen, was uns hinter der nächsten Kurve erwartet. Corona war und ist aus meiner Sicht nur das Brennglas, das uns diese Notwendigkeit, in zum Teil sehr schmerzvoller Weise, wieder ins Bewusstsein gerufen hat. Die Basis langfristiger wirtschaftlicher Potenz und Prosperität, ganz egal in welcher Branche, bleiben die richtigen Themen – sprich die Geschäftsmodelle. Die Leitplanken auf der stets kurvigen, oft steilen, ab und zu auch abschüssigen und häufig rutschigen Straße zum Erfolg, bleiben die richtigen Strategien. Starre Planungsprozesse hingegen gehören aber endgültig der Vergangenheit an und mit planwirtschaftlichen Budgetierungs- und Prognoseprozessen werden wir die Zukunft nicht mehr gestalten können.

„Prognosen sind eben nur Vermutungen mit Hochschulbildung“, wie es der frühere US-Präsident Jimmy Carter einmal ausdrückte und das Auftauchen „Schwarzer Schwäne“ mendelt meist diejenigen Unternehmen aus, deren Geschäftsmodelle und deren Strategien langfristig sowieso nicht funktioniert hätten. Es gilt sich also strategisch gut aufzustellen und dies mit hoher operativer Flexibilität zu kombinieren. Das gilt vornehmlich für Unternehmensbereiche wie das Marketing und hier wiederum die agile Strukturierung von Marketingbudgets ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Wie das gehen könnte, will ich Ihnen an folgendem praxisnahen Beispiel zeigen.

Rahmenbedingungen eines agilen Marketingbudgets Premeon

Sie stellen sich vor, dass Sie Marketingmanager bei einem Hersteller von Computerdruckern sind. Heute geht es in einer Sitzung um den Marketingplan „Marketingjahr 1“ für eine innovative Druckerreihe mit dem Namen „Bazoona“, für die Sie Marketingmanager/in sind. Jetzt Ende Oktober sind wir mitten in der finalen Budgetphase des Unternehmens. Sie haben bereits Ihr Marketingbudget eingereicht: es soll bei einem geplanten Umsatz von etwa 80 Millionen für die Marke Bazoona auf einem „Advertising to Sales Ratio“ von 8 % aufbauen, d.h. Sie planen mit 6,4 Mio. € Marketingbudget. In der irrigen Annahmen, dass diese Budgethöhe bereits genehmigt ist, betreten Sie jetzt den Raum und zwar im festen Glauben, dass dieses Budget logisch und nachvollziehbar ist, sowie bewaffnet mit einer 42-seitigen Powerpointpräse in der Sie die wichtigsten Maßnahmen bereits ausgearbeitet haben. Anwesend sind übrigens, neben ihrer Wenigkeit auch der Geschäftsführer Dr. Bernhard Bierbichler, der Technikchef Horst Siegert, die kaufmännische Leiterin Ophelia Benett sowie der Vertriebschef Markus Schneidig. Was Sie nicht wissen: Schneidig hat mit Bernhard Bierbichler in der letzten Woche einige wichtige Kunden besucht und Dr. Bierbichler hat „kalte Füße bekommen“ und wird heute das Budget in Frage stellen.

Ophelia ist eine eher zurückhaltende Britin und erst seit wenigen Monaten im Unternehmen, weshalb Sie sie nur aus wenigen Meetings kennen. Sie hat auf der Agenda den ersten Part und konfrontiert Sie gleich mit der Frage, ob das Budget nicht zu hochgegriffen sei. Begründung: für die Drucker der Exteno-Reihe (übrigens ein Riesenflopp) vor fünf Jahren ist man mit einem Marketingbudget von nur 2,8 Mio. € ausgekommen.

Der Vertrieb steht dem Bazoona eher ablehnend gegenüber, nachdem im Vorjahr schon eine Neueinführung gescheitert ist. So kann man sich täuschen – wurde doch Ihr fulminanter Auftritt auf der letzten Vertriebstagung mit „standing ovations“ bedacht. Trotzdem hat sich der Gesamtvertriebsleiter Markus Schneidig auf das Umsatzziel „committed“. Bei der Vorstellung des Bazoona bei einigen Key Accounts (die Besuche, die Schneidig mit Dr. Bierbichler in der letzten Woche durchgeführt hat) war die Resonanz aber laut Markus Schneidig doch „eher ambivalent“. Auf Ihre Nachfrage erklärt Schneidig, dass das Marketingkonzept (von Ihnen vorgestellt auf der Vertriebstagung im letzten Monat) wohl „noch nicht richtig rund sei“. Mit einem zusätzlichen Vertriebsbudget von 2,5 Mio. ist er aber ganz sicher, dass der Vertrieb die ambitionierten Ziele stemmen wird.

Jetzt sind Sie dran, aber es ist Ihnen klar, dass es jetzt nicht besonders clever ist mit Ihrer 42-seitigen PP-Präse zu starten, die neben groben Mediaplänen auch einige schöne Bilder des geplanten Messestands auf der wichtigen Messe im Frühjahr zeigt, sowie zwei erste Entwürfe der Endverbraucherkampagne enthält. Letztere übrigens „besonders kreativ, impactstark und zielführend“ – so wollten Sie eigentlich rhetorisch geschliffen Chart 14 einleiten. Aber das geht alles nicht mehr – Sie brauchen einen „Plan B“, wenn Sie Ihr Budget „retten“ wollen. Zum Glück haben Sie das Budget „agil“ gestaltet und haben noch die Präsentation zu Ihrer Vorgehensweise auf dem Rechner, für die sich aber bislang niemand interessiert hat. Sie erklären jetzt den Anwesenden, wie Sie das Budget ermittelt haben und wie Sie es zu steuern gedenken. Sie gehen dabei in 3 Schritten vor:

SCHRITT 1: Vergessen Sie, was war = Zero Base Budgeting

Der Grund hierfür ist ein typischer Denkfehler von Menschen, der in der Psychologie als „Verankerung“ bezeichnet wird. Wir versuchen aus der Vergangenheit oder durch Impulse „von außen“ Maßstäbe für zukünftiges Handeln abzuleiten, weil uns das vermeintlich mehr Planungssicherheit gibt. Beispiel: wir haben im letzten Jahr für Produkt X eine bestimmte Summe für Marketing ausgegeben und budgetieren im neuen Jahr eine ähnliche Summe, obwohl es dafür gar keinen vernünftigen Grund gibt. „Cancel Culture“, die Arbeit mit einem weißen Blatt Papier ist im Marketing aber oft viel sinnvoller, als die sklavische Ableitung von Ideen und Konzepten aus der Vergangenheit. Damit können Sie Ophelia vielleicht schon ein wenig „den Wind aus den Segeln nehmen“. Andernfalls wird der „Exteno-Flopp“ wie der berühmte rosa Elefant im Raum stehen bleiben.

SCHRITT 2: Definieren und kalendarisieren Sie ein agiles Budget

Sie haben hoffentlich zusammen mit allen Beteiligten die einzelnen Phasen für die Neueinführung der Bazoona-Reihe definiert und die jeweiligen Ziele hierfür vereinbart. Beispiele:

  • Mit der Technik ist geklärt, wann welche Mengen des Bazoona-Druckers für wen zur Verfügung stehen
  • Der Vertrieb hat Ihnen zugesagt, bis wann er welchen Kundengruppen den Drucker persönlich vorgestellt haben wird und bis wann in welchen Vertriebsschienen und ggf. -regionen welche Distribution geschaffen ist
  • Mit der Finance Abteilung sind die Umsatzmeilensteine, für die sich ja auch Markus Schneidig „commited“ hat, besprochen und abgestimmt und
  • Sie selbst haben mittels Marktforschung die Erreichung der Marketingziele, zum Beispiel der Markendreiklang (Bekanntheit, Sympathie und Kaufbereitschaft), zu Ihrem Bewertungsmaßstab gemacht

So würde dann zum Beispiel das agile Marketingbudget aufgebaut sein:

Sie legen zunächst die Ziele für die einzelnen Phasen fest:

Agiles Marketingbudget- Ziele festlegen

Dann definieren Sie das Timing für die einzelnen Phasen:

Agiles Marketingbudget – Kalendarisierung

Jetzt noch die Teilbudgets für die einzelnen Phasen:

Agiles Marketingbudget – Teilbudgets der einzelnen Phasen

SCHRITT 3: Aktives und agiles Controlling des Budgets

Und so könnte man dann in Absprache mit allen Beteiligten das Budget durch´s Jahr steuern:

Agiles Marketingbudget – Controllingsystematik

Mit dieser agilen Vorgehensweise, die man natürlich in mehr Phasen einteilen und mit weiteren Zielen anreichern kann, können wir das Budget flexibel und effizient gestalten. Sei es Vorsicht walten zu lassen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir es geplant haben oder (natürlich viel schöner aus Marketingsicht) „einen Brikett drauflegen“ wenn sich Entwicklungen positiver darstellen als gedacht. Weiterhin können wir dann zwischen Produkten oder Marken ganz uneigennützig, aber zum Nutzen des Unternehmens, Gelder verschieben. Zwei weitere Effekte dieser Systematik: zum einen fordern wir Leistung von anderen ein (Horst Siegert muss die Liefermengen sicherstellen, Markus Schneidig hat mit seinen Vertrieblern die Distribution zu schaffen), zum anderen sind wir genötigt stärker im Team zusammenzuarbeiten und uns deshalb auch regelmäßig auszutauschen, um über den jeweiligen aktuellen „Wasserstand“ in anderen Abteilungen informiert zu sein.

Leider ist die Realität in den Unternehmen häufig noch eine andere: da werden Marketinggelder möglichst bis Ende September ausgegeben, damit man bei späteren Budgetkürzungen dem Controlling „eine lange Nase machen kann“. Gegen Ende des Jahres befällt Marketeers häufig das „Dezemberfieber“, sprich man versucht verzweifelt noch alle verfügbaren Marketinggelder des Jahres restlos zu „verbraten“. Ein anderes Beispiel ist der Irrglaube, dass Fehlentwicklungen der ersten Monate sich dann im Laufe des Jahres noch „ausbügeln“ lassen, weshalb wir Kürzungen dann zu spät und dann natürlich nicht mehr wirklich plan- und sinnvoll durchführen.

Denken Sie am Ende immer daran: es ist nicht immer die Kreativität der Konzepte und Umsetzungen, die gutes von schlechtem Marketing unterscheidet, sondern es ist der hoffentlich sinnvolle, ausnahmslos seriöse und stets agile Umgang mit dem Geld, dass uns unser Unternehmen für Marketingzwecke zur Verfügung gestellt hat. Deshalb ist der Ausgangspunkt eines erfolgreichen agilen Marketings immer die richtige Budgetierungsmethodik.